Travis
"Berühmtheiten zu werden, war nie unsere Berufung. Das ist nur ein Produkt der Bekanntheit. Bekannt sein sollte man, wenn man in etwas gut ist", findet Neil auf der Höhe des Travis-Ruhms im Jahr 1999. Und er hat recht: Die Band, die melodramatischen Britpop salonfähig gemacht hat, ist sehr gut in dem, was sie tut.
Schon mit fünf Jahren verspricht Sänger und Songschreiber Fran Healy seiner Mutter "Mami, ich werde ein Popstar". Ein Traum, der spätestens 2010 mit seinem ersten Soloalbum "Holiday" mit Gaststar Paul McCartney am Bass in Erfüllung geht. Als Gegenleistung versprach Fran dem Ex-Beatle angeblich, Vegetarier zu werden.
Doch der Reihe nach: zunächst sucht Fran seine Erfüllung in der Kunst, geht in Glasgow an die "School of Art". Dort bildet er mit vier Freunden, darunter Andy Dunlop (Gitarre) und Neil Primrose (Drums) die Band "Glass Onion". Da die Chemie zwischen den Mitgliedern nicht stimmt, trennen sie sich schnell von Bassist und Keyboarder. Als Ersatz kommt Dougie Payne, der in seinem Leben noch keinen Bass in der Hand hatte.
In der Konstellation klappt es menschlich: Die wichtigste Voraussetzung für die Mitglieder, um in einer Band zusammen zu arbeiten. Da sie es nicht schaffen, von Schottland aus einen Plattenvertrag zu bekommen, entschließen sie sich 1996 nach London umzuziehen: Dort setzten sie kurz darauf ihre Unterschriften unter einen Vertrag. London scheint also immer noch das Geheimrezept für Reichtum und Berühmtheit zu sein.
Das Debüt "Good Feeling" veröffentlichen sie 1997. In nur vier Tagen nimmt die Band es auf, kennzeichnend ist das Nebeneinander von netten Popsongs und heftigeren Rocknummern. Kritiker schreiben daher, es handle sich um ein schizophrenes Album. Die erste Single-Auskopplung "All I Want To Do Is Rock" geht sofort in die Charts und hält sich einige Zeit in den Top 30. Ursprünglich soll der Song "All I Want To Do Is Fuck" heißen, aber Fran möchte seine Mami nicht ärgern und "rock" hört sich seiner Meinung nach phonetisch einfach besser an.
Zwei Jahre später erscheint "The Man Who". Der Titel basiert auf Oliver Sacks' Buch "The Man Who Mistook His Wife For A Hat". Es erzählt Geschichten über verschiedenen Arten der Schizophrenie. Travis zeigen Sinn für Humor, wie man beim genauen Hinhören der Texte schnell bemerkt.
Die Bewusstseinsspaltung fällt musikalisch allerdings kaum mehr auf, sieht man über den Titel des Albums hinweg. Auch lassen sie sich diesmal mit den Aufnahmen länger Zeit. Die namhaften Produzenten Mike Hedges (Manic Street Preachers) und Nigel Godrich (Radiohead, Beck, Pavement) stellen sich zur Verfügung.
Und so einfach geht das im Travis-Universum: Man sitzt mit einer Flasche Tequila in seinem Zimmer und im Radio läuft "Wonderwall" von Oasis. Sie nehmen die ersten vier Akkorde dieses Klassikers, verändern sie ein bisschen, und fertig ist eine der schönsten britischen Pop-Balladen der 90er Jahre. Songwriter Fran Healy vergisst jedoch die Nummer zunächst, schuld ist nur der Tequila. Im Nachhinein ist die gesamte Band froh, dass die Nummer nicht schon auf "Good Feeling" erschienen ist.
Mit der Hitsingle "Why Does It Always Rain On Me?" fühlen sich viele Leute angesprochen und sehen ihr eigenes Leben in Fran Healys Text niedergeschrieben. Kein Wunder, dass sich "The Man Who" lange in den britischen Top 10 hält und mit Doppel-Platin ausgezeichnet wird. Das Album findet sich bald in jedem achten britischen Haushalt, wie eine statistische Erhebung ermittelt. 1999 gewinnen Travis zwei der renommierten Brit Awards (als beste britische Band und hochverdient für das beste Album).
Der Ruhm lässt die Musiker verstärkt über ihr frisch erlangtes Starleben reflektieren. Nicht überraschend betiteln sie ihr Folgealbum "The Invisible Band", wollen sich also "hinter der Musik verstecken". Trotzdem schnellt das Album in die Charts. An Versteckspiel und Ruhe ist weiter nicht zu denken.
Auf Tour dann ein böser Zwischenfall: Beim Chillen am Pool nach einem Festivalgig im Juli 2002 im französischen Belfort treibt Schlagzeuger Neil bewusstlos im Pool. Außer einer undramatischen Kopfverletzung und einem Wirbelbruch bleibt der Sprung in das zu flache Schwimmbecken glücklicherweise folgenlos.
Vor dem Hintergrund des 11. Septembers geraten einige Texte des 2003er Werks "12 Memories" erstmals in der Travis-Historie politisch. Anschließend bleibt es von einer Singles-Collection 2004 ausgenommen, lange ruhig um die Band, "ohne die es Coldplay möglicherweise nie gegeben hätte" (Chris Martin).
Und doch geht es immer weiter. Obwohl Travis gerne beteuern, die Promotion-Arbeit zu hassen, geben sie brav Album für Album Interviews, drehen Videos und gehen zur Erholung auf Tour und dann wieder ins Studio. Pause? Fehlanzeige.
© Laut
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