Steven Wilson
Das Jahr 1967 ist nicht nur die Geburtsstunde des Beatles-Jahrhundertalbums "St. Peppers Lonely Hearts Club Band" oder von Jimi Hendrix' Gitarren-Lehrstunde "Are You Experienced", sondern auch von Steven Wilson, dem Kopf von Porcupine Tree und zahlreichen weiteren Projekten.
Er kommt in einem britischen Kaff namens Hemel Hempstead zur Welt. Musikalisch steht Wilson unter dem Einfluss von Rockheroen der 70er wie Frank Zappa, King Crimson, Yes oder Led Zeppelin. Deren konzeptuelles Denken wirkt prägend und lässt in dem Multiinstrumentalisten und Autodidakten früh den Wunsch nach eigenem Output wachsen.
Den ersten Gehversuchen in Sachen Songwriting und Recording folgen bald ernsthafte Anstrengungen, im Musikbusiness Fuß zu fassen. Die Band No-Man ergattert auf Anhieb einen Plattenvertrag. Eine ironische Anekdote am Rande: Wilsons Projekt Porcupine Tree entstand eher aus einer Laune heraus. Der Stachelschweinbaum gedeiht wider Erwarten prächtig und entwickelt sich zu einer der tragenden Säulen des Progs der Nuller-Jahre.
Doch bei Musik und Songwriting befriedigt Wilson selbst der weit gestreckte Rahmen, in dem sich die Klangkunst von Porcupine Tree bewegt, nicht restlos. So ergibt sich beispielsweise mit dem israelischen Rockmusiker Aviv Geffen die Konstellation Blackfield, die Ambient-lastigen Bass Communion oder die in trauter, krautrockiger Seventies-Tradition stehenden Expanding Mindfuck.
Dieses beständige Rotieren zwischen den Stilen sowie die Neugier nach neuen Einflüssen lassen jede kategorische Einordnung nichtig werden. Allenfalls das Etikett "rebellisch" bleibt konstant, wie es der Name seines ersten Soloalbums "Insurgentes" andeutet. Hier wandelt der Tausendsassa shoegazend auf den Spuren von Joy Division. Wilsons Lyrics zeichnet ihr Changieren zwischen Nabelschau und Gesellschaftskritik aus, oftmals verbunden mit einer pessimistischen Weltsicht.
Durch seine Tätigkeit als Produzent geschult (unter anderem für Opeth, Orphaned Land, Anathema, Marillion), packt er ein ums andere Mal die anspruchsvollen musikalischen Strukturen in ein klanglich profundes Frequenzspektrum. Nebenher vertreibt er auf seinem Label Headphone Dust Kleinstauflagen von Independent-/Underground-Künstlern. Daneben remixt Wilson legendäre Alben, nimmt sich zum Beispiel sukzessive der Jethro Tull-Diskographie an.
Trotz dieses ohnehin schon prall gefüllten Arbeitsplans schafft es Mr. Wilson irgendwie, seine Solokarriere von Höhepunkt zu Höhepunkt zu treiben. Auf "Insurgentes" folgt das Doppelalbum "Grace For Drowning", er spinnt jazzige Geistergeschichten auf "The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)", nimmt sich auf "Hand. Cannot. Erase." der Geschichte Joyce Carol Vincents an, die drei Jahre lang tot in ihrer Wohnung lag, ohne gefunden zu werden. Daneben bleibt trotzdem Zeit, sein Herzensprojekt "Storm Corrosion" zu realisieren - eine Kollaboration mit Opeths Mikael Åkerfeldt.
Und natürlich tourt er regelmäßig durch die Welt, wobei die Konzertsäle immer exklusiver werden. Steven Wilson im Programm derselben Häuser, die auch Sinfonieorchester oder Lang Lang im Programm haben, ist bald keine Seltenheit mehr, wovon die Live-Nachlese "Home Invasion: Live At Royal Albert Hall" ein eindrucksvolles Zeugnis ablegt.
Gleichzeitig beginnt Wilson allerdings auch, sich über die Grenzen der Prog-Welt hinwegzubewegen und gen Mainstream zu orientieren. Seinem fünften Soloalbum "To The Bone", das Mitte 2017 erscheint, geht deshalb ein Labelwechsel voran. Statt wie bisher beim Independent-Imprint Kscope zu veröffentlichen, begibt sich Wilson zu Caroline International und damit unters Dach von Universal Music.
Im Zuge dessen gibt Wilson der poppigen Seite seiner musikalischen Identität noch mehr Raum zur Entfaltung als bisher. Zu überlangen Prog-Epen gesellt sich etwa die von ABBA inspirierte Radiosingle "Permanating".
Zur unbeschwerten Frohnatur ist es trotzdem noch ein weiter Weg: "Wenn es ein dominierendes Thema auf der Platte gibt, dann ist es 'in welch abgefuckter Welt wir leben'."
© Laut
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