Oneohtrix Point Never
Daniel Lopatin, der Mann am Sequenzer bei Oneohtrix Point Never (OPN), produziert Musik außerhalb konkreter Kategorien. Geboren 1982 in Wayland, Massachusetts, steht das Pseudonym seit dem Debütalbum 2007 für idiosynkratische, experimentell-elektronische Kompositionen, die befremden, verwirren, schockieren und doch immer wieder der Brotkrumenspur zurück zum Pop-Hypothalamus des Hörers finden.
Im weiten Spannungsfeld aus Eno- und Tangerine Dream-inspiriertem Ambient, New Age, Noisedrones und geloopten popkulturellen Referenzen zählt Daniel Lopatin zur Avantgarde der 2010er Jahre. So gilt der Sohn russischer Auswanderer neben James Ferraro als zentrale Figur in der Genregenese des Vaporwave - einer Stilrichtung, die sich weniger durch musikalische Details, als vielmehr durch ästhetischen Eklektizismus definiert. Fahrstuhl-Muzak-Samples, Videospiel- und Vintage-Werbespots dreht OPN beispielsweise so lange durch seine Synthesizer-Reihen, bis das hoachartifizielle Moment dieser konsumorientierten Melodien bloßgestellt ist.
Beinahe unentwegt sitzt der spätere Produzent von Anohni im heimatlichen Brooklyn am Laptop. Dabei stinkt ihm das Zuhause eigentlich: "Es ist überteuert und riecht nach Müll und Erschöpfung." Lieber reist er um den Globus, um in Clubs und auf avantgardistischen Festivals zu performen oder das welterste Synthesizerorchester mit anzuleiten. Arbeitswütig ist Lopatin also in jedem Fall.
Neben OPN entwirft er mit Jugendfreund Joel Ford unter dem Alias Ford & Lopatin Synthfunk, kollaboriert mit dem Ambientmusiker Tim Hecker und Hyperdubs Laurel Halo und betreibt mit Software ein progressives Indielabel. Mit Autre Ne Veut teilt er sich in seiner Studienzeit ein Zimmer. All der Einsatz zahlt sich 2009 erstmals in barer Aufmerksamkeitsmünze aus. Damals erscheint die Compilation "Rifts", die den Künstler als Best Of seiner ersten drei Platten - die noch dem Krautrock und Kosmischer Musik nahestehen - erstmals aus dem New Yorker Untergrund hieven.
Ausgelöst wird die Leidenschaft für Klangsynthese von Vater Lopatin. Der leiht dem Sohn und Schulfreund Joel seinen Sampler Roland Juno 60. Die anfängliche Passion für Fusion-Jazz-Kassetten erhält am Hampshire College in Massachusetts eine neue Dimension: "Auf einmal hörte ich im Radio Sachen, die mir bis dahin völlig unbekannt waren. Golden-Era-Hip Hop, House Music, auch Reggae. Das hat mein Leben verändert." Fortan bastelt der studierte Archivar mit Freund Joel aus den Radioshows eigene Compilations.
Nach den anfänglichen Produktionen, für die Lopatin ausschließlich eigene Klänge benutzt, greift er ab dem ersten Studioalbum "Replica" verstärkt auf kulturelle Soundfragmente zurück. In seinen so genannten Eccojams werden lyrische Sequenzen aus Popsongs und Werbejingles extrahiert, der Loop mit viel Echo unterlegt und extrem verlangsamt. "Es steckt eine Unmenge in diesen 30-Sekündern", erklärt er im Interview. "Merkwürdige Dinge, die wir gar nicht bewusst wahrnehmen. Vor allem Sex, Sex und noch mal Sex." Dekonstruktivismus at its best.
Neben dem regulären Veröffentlichungszirkel engagiert sich Lopatin auch als Soundtracklieferant u.a. für Sofia Coppola oder untermalt Tate Gallery-Ausstellungen mit seinen Klängen. Sich stetig weiterzuentwickeln ist dabei oberste Prämisse. So geht er 2015 mit Soundgarden und Nine Inch Nails auf Tournee, um gänzlich neue Hörerkreise mit seiner Musik zu konfrontieren. Für sein siebtes Album aus jenem Jahr greift OPN erstmals auf Gitarrensounds zurück, um das Konzeptthema Pubertät zu vertonen.
"Ich halte das, was ich tue, nicht unbedingt für futuristisch oder bahnbrechend. Meine Musik würde ich auch auf keinen Fall als nostalgisch bezeichnen", erklärt Lopatin seinen Ansatz. "Wir verknüpfen unsere Erinnerungen mit Gefühlen und stellen sie auf eine emotionale Theaterbühne. So entsteht häufig Fiktionales. Ich biete eine musikhistorische Perspektive auf dieses menschliche Verhalten. Manipulativ wird die Idee Nostalgie aber, wenn etwa romantische Komödien uns vorgeben wollen, wie wir empfinden sollen. Füge dieses oder jenes Gefühl hinzu, um Sehnsucht zu transportieren, diese oder jene Musik, um Liebeskummer zu untermalen usw. Das hindert viele Menschen daran, eigene Erinnerungen besser zu verstehen."
© Laut
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