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Was macht die Zukunft zur Zukunft? Der Regenwald brennt, fernöstliche Städte liegen im Smog wie London im Nebel, die "Mensch-Maschine" ist von der Gegenwart etwa so weit entfernt wie Kraftwerks Meisterwerk damals von "Metropolis". Es fühlt sich an, als gäbe es mehr Retrofuturismen als echte Zukunft, die noch vor uns liegt.
Yeule ist eine Musikerin, die man Futuristin nennen könnte. Ihre Musik teilt die Ästhetik, die Cyberspace-Melancholie, die digitale Verlorenheit und die industrielle Verfremdung, die elektronische Musik oft zum Donnergrollen der Zukunft verklärt hat. Und doch ist ihr erstes Album "Serotonin II" ein Album, das nicht tiefer in der Gegenwart verwurzelt sein könnte.
"Serotonin II" klingt, wie ein Jean-Luc Godard-Film aussieht. Vignettenhaft schaltet die Platte durch verschiedene Imaginationen seiner Protagonisten, mal dokumentarisch, mal poetisch. "Poison Arrow" spielt so zynisch mit Dur-Melodien, dass die tatsächlichen Erzählungen von der paradoxen Stimmung unterwandert werden. Der Song wechselt von bezaubernden Ambient-Passagen in elektrisierende Techno-Beats. Mit Synth-Leads, wie sie in Haruomi Hosonos bittersüßem Meisterwerk "Watering A Flower" auftauchen und einer Atmosphäre wie in einem Fiebertraum.
Die singapurisch-chinesische Musikerin zeichnet ein Bild der Apathie vor den eigenen Dämonen, der Resignation vor der Reizüberflutung. "Shadows follow me and I let them/ I wanna leave the world I was left in/ Instable internet connection/", singt sie auf "Pixel Affection", wispernd wie in Zwiesprache. Der offensichtliche Bezugspunkt dieses futuristischen und fragmentarischen Electro-Pop-Glanzstücks wäre wohl "Visions“ von Grimes. Doch dafür, dass die "Oblivions" und "Skins" fehlen, kreiert Yeules intrigantes Spiel mit Elementen aus Shoegaze, Dream Pop, Ambient, Vaporwave und Noise-Musik eine einzigartig fließende Platte.
Immer wieder überrascht das fesselnde, immersive Pacing, das nur in einer Post-Internet-Ära des Genres funktioniert. Statt Song auf Song fühlen sich wenige Momente des Albums wie ausgefeilte Pop-Songs an. Eher deformiert und dekonstruiert Yeule die Klangwelten in reine Soundkulissen, etwa das kaleidoskophafte "See You Space Cowboy" oder das nach Field Recording klingende "Nuclear War Post IV".
Elemente, die "Serotonin II" einen unvergleichlichen Puls verleihen. Vor allem lässt es Momente der frei schwingenden Popenergie umso härter aufschlagen. "Pocky Boy" zieht mit psychedelischen Deep House-Bässen in eine aquamarine Tiefe. "Blue Butterfly" ist die Musik, mit der posthumane Roboter-Zivilisationen ihre Historiendramen über archäologisch rekonstruierte viktorianische Bälle untermalen könnten. "An Angel Held My Like A Child" mutiert von einigen der schönsten Synthesizern der vergangenen Jahre zu einem Song, der die surreale Abspannmusik für "Neon Genesis Evangelion" sein könnte.
Die Zahl der Vignetten und Zukunftsvisionen, die das kongeniale Sounddesign von "Serotonin II" evoziert, ist nahezu endlos. Mal viktorianischer Steampunk, mal Dave Eggers "Circle". Das besondere an Yeules Vision bleibt aber, dass sie kein Album über die Zukunft geschrieben hat. "Serotonin II" handelt vom Selbst. Von einem Selbst, das gezwungenermaßen in der Zukunft lebt. Diese ist keine Hypothese mehr, sondern ein Gespenst, das nicht verschwinden wird, was sich in den Lyrics niederschlägt.
Diese handeln von geistiger Gesundheit, von Einsamkeit und Isolation, von gespaltener Persönlichkeit - nicht als Gedankenexperiment, sondern als Realität. Einer Realität, die sich mit den Fatalismen der Jetztzeit auseinandersetzen muss, die einst Zukunftsmusik waren. Zum Beispiel dem Konstrukt eines Selbst im Social Media-Bilderozean. Eine Kritik, nuancierter und vielschichtiger als es jede 'Smartphone bad'-Lesung vermag, weil sie differenziert zwischen dem Dopamin-Abruf auf jedwedes Endgerät und dem Potential, von jedem Ort mit der Welt verbunden zu sein. Skype-Anrufe von Singapur nach London. Instagram-Freundschaften zwischen Taiwan und New York. Isolation im Hier und Jetzt. In dieser Hinsicht hat die Platte eine physische Qualität, wie Fennesz' "Endless Summer" oder SOPHIEs "Oil Of Every Pearl's Un-Insides".
Was macht die Zukunft also zur Zukunft Normalerweise die Imagination von Umständen oder Entwicklungen, die sich zum Guten oder Schlechten entwickeln können. Was machen wir aber mit der Zukunft, die wir schon kennen? "Serotonin II" ist ein Sturm in der Glasfaserleitung. Yeule fertigt ein Selbstporträt der jungen Frau im Cyberspace an, zum Verrücktwerden surreal, körperlich erfahrbar und bezaubernd schön, ein Album über Melancholie und Verzweiflung, das beim Blick nach Innen die Welt außen nicht ausblendet. Geballte postfuturistische Ästhetik. Eines der überwältigendensten Debüts in letzter Zeit.
© Laut
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yeule, Artist, MainArtist
2019 Bayonet Records 2019 Bayonet Records
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Albumbeschreibung
Was macht die Zukunft zur Zukunft? Der Regenwald brennt, fernöstliche Städte liegen im Smog wie London im Nebel, die "Mensch-Maschine" ist von der Gegenwart etwa so weit entfernt wie Kraftwerks Meisterwerk damals von "Metropolis". Es fühlt sich an, als gäbe es mehr Retrofuturismen als echte Zukunft, die noch vor uns liegt.
Yeule ist eine Musikerin, die man Futuristin nennen könnte. Ihre Musik teilt die Ästhetik, die Cyberspace-Melancholie, die digitale Verlorenheit und die industrielle Verfremdung, die elektronische Musik oft zum Donnergrollen der Zukunft verklärt hat. Und doch ist ihr erstes Album "Serotonin II" ein Album, das nicht tiefer in der Gegenwart verwurzelt sein könnte.
"Serotonin II" klingt, wie ein Jean-Luc Godard-Film aussieht. Vignettenhaft schaltet die Platte durch verschiedene Imaginationen seiner Protagonisten, mal dokumentarisch, mal poetisch. "Poison Arrow" spielt so zynisch mit Dur-Melodien, dass die tatsächlichen Erzählungen von der paradoxen Stimmung unterwandert werden. Der Song wechselt von bezaubernden Ambient-Passagen in elektrisierende Techno-Beats. Mit Synth-Leads, wie sie in Haruomi Hosonos bittersüßem Meisterwerk "Watering A Flower" auftauchen und einer Atmosphäre wie in einem Fiebertraum.
Die singapurisch-chinesische Musikerin zeichnet ein Bild der Apathie vor den eigenen Dämonen, der Resignation vor der Reizüberflutung. "Shadows follow me and I let them/ I wanna leave the world I was left in/ Instable internet connection/", singt sie auf "Pixel Affection", wispernd wie in Zwiesprache. Der offensichtliche Bezugspunkt dieses futuristischen und fragmentarischen Electro-Pop-Glanzstücks wäre wohl "Visions“ von Grimes. Doch dafür, dass die "Oblivions" und "Skins" fehlen, kreiert Yeules intrigantes Spiel mit Elementen aus Shoegaze, Dream Pop, Ambient, Vaporwave und Noise-Musik eine einzigartig fließende Platte.
Immer wieder überrascht das fesselnde, immersive Pacing, das nur in einer Post-Internet-Ära des Genres funktioniert. Statt Song auf Song fühlen sich wenige Momente des Albums wie ausgefeilte Pop-Songs an. Eher deformiert und dekonstruiert Yeule die Klangwelten in reine Soundkulissen, etwa das kaleidoskophafte "See You Space Cowboy" oder das nach Field Recording klingende "Nuclear War Post IV".
Elemente, die "Serotonin II" einen unvergleichlichen Puls verleihen. Vor allem lässt es Momente der frei schwingenden Popenergie umso härter aufschlagen. "Pocky Boy" zieht mit psychedelischen Deep House-Bässen in eine aquamarine Tiefe. "Blue Butterfly" ist die Musik, mit der posthumane Roboter-Zivilisationen ihre Historiendramen über archäologisch rekonstruierte viktorianische Bälle untermalen könnten. "An Angel Held My Like A Child" mutiert von einigen der schönsten Synthesizern der vergangenen Jahre zu einem Song, der die surreale Abspannmusik für "Neon Genesis Evangelion" sein könnte.
Die Zahl der Vignetten und Zukunftsvisionen, die das kongeniale Sounddesign von "Serotonin II" evoziert, ist nahezu endlos. Mal viktorianischer Steampunk, mal Dave Eggers "Circle". Das besondere an Yeules Vision bleibt aber, dass sie kein Album über die Zukunft geschrieben hat. "Serotonin II" handelt vom Selbst. Von einem Selbst, das gezwungenermaßen in der Zukunft lebt. Diese ist keine Hypothese mehr, sondern ein Gespenst, das nicht verschwinden wird, was sich in den Lyrics niederschlägt.
Diese handeln von geistiger Gesundheit, von Einsamkeit und Isolation, von gespaltener Persönlichkeit - nicht als Gedankenexperiment, sondern als Realität. Einer Realität, die sich mit den Fatalismen der Jetztzeit auseinandersetzen muss, die einst Zukunftsmusik waren. Zum Beispiel dem Konstrukt eines Selbst im Social Media-Bilderozean. Eine Kritik, nuancierter und vielschichtiger als es jede 'Smartphone bad'-Lesung vermag, weil sie differenziert zwischen dem Dopamin-Abruf auf jedwedes Endgerät und dem Potential, von jedem Ort mit der Welt verbunden zu sein. Skype-Anrufe von Singapur nach London. Instagram-Freundschaften zwischen Taiwan und New York. Isolation im Hier und Jetzt. In dieser Hinsicht hat die Platte eine physische Qualität, wie Fennesz' "Endless Summer" oder SOPHIEs "Oil Of Every Pearl's Un-Insides".
Was macht die Zukunft also zur Zukunft Normalerweise die Imagination von Umständen oder Entwicklungen, die sich zum Guten oder Schlechten entwickeln können. Was machen wir aber mit der Zukunft, die wir schon kennen? "Serotonin II" ist ein Sturm in der Glasfaserleitung. Yeule fertigt ein Selbstporträt der jungen Frau im Cyberspace an, zum Verrücktwerden surreal, körperlich erfahrbar und bezaubernd schön, ein Album über Melancholie und Verzweiflung, das beim Blick nach Innen die Welt außen nicht ausblendet. Geballte postfuturistische Ästhetik. Eines der überwältigendensten Debüts in letzter Zeit.
© Laut
Informationen zu dem Album
- 1 Disc(s) - 12 Track(s)
- Gesamte Laufzeit: 00:41:23
- Künstler: yeule
- Label: Bayonet Records
- Genre: Pop/Rock Pop
2019 Bayonet Records 2019 Bayonet Records
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